Datum: 09.05.2024
Gemeinsame Stellungnahme zur Fortschreibung des Teilregionalplans Windenergie zum Einheitlichen Regionalplan Rhein-Neckar
Unterzeichnende BUND Gruppen:
- Ortsverband Steinachtal (vertreten durch Edit Spielmann, Dr. Jochen Schwarz)
- Ortsverband Neckargemünd (vertreten durch Alexandra Inama-Knablein)
- Kreisgruppe Heidelberg (vertreten durch Regina Schmidt, Bert Brückmann)
An: Verband Region Rhein-Neckar, M 1, 4-5, 68161 Mannheim
Gliederung
- Zusammenfassung
- Einordnung
- Betroffene Natura-2000-Schutzgebiete
- Rechtssicherheit: Beeinträchtigung von Naturschutzbelangen im FFH-Gebiet
- Rechtssicherheit: Vertiefende FFH-Verträglichkeitsprüfung
- Rechtssicherheit: Pledges-Arten des Landes Baden-Württemberg
- Betroffene FFH-Lebensraumtypen
- Betroffene windkraftsensible Fledermausarten
- Lebensraumverlust – Beeinträchtigung der Fledermauspopulationen
- Gefährdung durch Kollision – Fledermauszug
- Vergeudete Mittel für den Naturschutz im NATURA-2000-Netzwerk
- Lammerskopf – ideal für ein Artenhilfsprogramm
- Literatur
- Anlagen
Zusammenfassung
Die stellungnehmenden BUND-Kreis- und Ortsverbände sprechen sich nachdrücklich gegen die Ausweisung des Gebiets HD/RNK-VRG02-W als Vorranggebiet für die regional bedeutsame Windenergienutzung aus.
Im Vorranggebiet HD/RNK-VRG02-W „Lammerskopf“ bestehen erhebliche rechtliche Hürden bei der Planung, Genehmigung und Umsetzung von Windenergieprojekten im FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“, einem besonderen, gemeinschaftlichen, europäischen Schutzgebiet mit windkraftsensiblen Zielarten und -Lebensraumtypen und mit Schwerpunktvorkommen der Kategorien A und B.
Die hier dargestellten naturschutzfachlichen Restriktionen stellen für Investoren und Projektbetreiber ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit dar. Allein aufgrund der dargestellten besonderen Konfliktlage, insbesondere aber, wenn im Rahmen möglicher Klageverfahren die Rechtmäßigkeit des Vorhabens einer EU-rechtlichen Überprüfung unterzogen werden muss, sind selbst im Erfolgsfall zumindest erhebliche Verfahrensverzögerungen zu erwarten.
Bei einer Realisierung von Windkraftanlagen im FFH-Gebiet des „Lammerskopf“ wären lokale und überregionale Fledermauspopulationen erheblich betroffen und in ihrem Bestand gefährdet. Auch gesetzlich geschützte Biotope, die für zahlreiche andere waldlebende Tier- und Pflanzenarten als Lebensraum dienen, wären sowohl von mit der Realisierung der Windkraftanlagen einhergehenden Baumaßnahmen als auch vom Betrieb von Windkraftanlagen erheblich betroffen. Das FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ wäre erheblich in seiner Aufgabe, die biologische Vielfalt wiederherzustellen, zu erhalten und zu fördern, beeinträchtigt.
Die Windkraftplanung im Vorranggebiet HD/RNK-VRG02-W ist somit nicht rechtssicher.
Als anerkannter Natur- und Umweltschutzverband fordert der BUND, Landesverband Baden-Württemberg, daher, das Gebiet „Lammerskopf“ aus naturschutzfachlichen Gründen nicht als Vorrangfläche für die Windkraft in der Teilregionalplanung auszuweisen.
Stattdessen schlagen wir die Realisierung eines Artenhilfsprogrammes gemäß § 45d BNatSchG in den ökologisch wertvollen Waldgebieten am Lammerskopf vor.
In den anschließenden Kapiteln möchten wir unsere Stellungnahme wie folgt begründen:
Einordnung
Den Ausbau der Windenergienutzung in der Region Rhein-Neckar erachten wir hinsichtlich des Klimaschutzes uneingeschränkt für wichtig und befürworten ihn daher grundsätzlich und ausdrücklich. Neben einer effizienteren Energienutzung bei gleichzeitig zurückhaltenderer, suffizienterer Lebensführung in weiten Teilen der Gesellschaft ebenso wie in Wirtschaft und Industrie brauchen wir eine möglichst schnelle und vollständige Umstellung der Stromversorgung in unserer Region auf klimaneutrale Quellen. Der Ausbau der Windenergie (wie auch der Photovoltaik und der Geothermie) muss dazu deutlich beschleunigt werden. Im Vergleich zu den letzten zehn Jahren bedeutet dies für Windenergie- und PV-Freiflächenanlagen eine deutliche Steigerung um den Faktor fünf bis zehn, wenn wir einen angemessenen Anteil der dringend erforderlichen Anstrengungen für die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele leisten wollen.
Gleichwohl halten wir es für unerlässlich, die Klimakrise und die Biodiversitätskrise gleichrangig und gemeinsam zu betrachten. Aus diesem Grund müssen die Auswirkungen des national und EU-weit forcierten Ausbaus der erneuerbaren Energien auf den Naturhaushalt und die Lebensgemeinschaften der dafür in Anspruch genommenen Naturräume so gering wie möglich gehalten werden. Die baden-württembergischen Landesverbände der anerkannten Umweltverbände BUND und NABU haben ihre diesbezüglichen Forderungen an die Landes- und Regionalplanung des Landes in ihrem gemeinsamen Positionspapier „Naturverträglicher Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg“ (BUND & NABU, 2023) formuliert (s. Anlage). Darin wird die Freihaltung verschiedener Gebietstypen von Bau und Betrieb von Windkraftanlagen gefordert. Zu diesen Gebietstypen zählen unter anderem Naturschutzgebiete und Natura-2000-Gebiete, wenn deren Schutzzwecke beeinträchtigt werden, sowie definierte Flächen mit Schwerpunktvorkommen (Kategorie A und B) windenergiesensibler Arten des Fachbeitrags Artenschutz (LUBW, 2022).
An dieser Stelle setzt unsere Kritik an der Ausweisung des vorgeschlagenen Gebiets HD/RNK-VRG02-W als Vorranggebiet für die regional bedeutsame Windenergienutzung an.
Wichtig ist uns zu betonen, dass es grundsätzlich nicht ausschließlich um den Schutz gefährdeter Fledermäuse geht. Denn diese Tiere sind im Grunde nur „Flaggschiff“-Arten, sozusagen die prominenten Stellvertreter für eine Reihe artenreicher Lebensgemeinschaften in alten Buchenmischwäldern, für deren Erhaltung Baden-Württemberg im internationalen Maßstab eine besondere naturschutzfachliche Verantwortung trägt.
Betroffene Natura-2000-Schutzgebiete
Die geplante Vorrangfläche liegt auf einer Fläche von 361 ha und damit zu etwa 59% innerhalb des FFH1-Gebiets 6518-311 „Steinachtal und Kleiner Odenwald“. Sie grenzt unmittelbar an das FFH-Gebiet 6519-304 „Odenwald bei Hirschhorn“ sowie an das EU-Vogelschutzgebiet VSG-6519-450 „Unteres Neckartal bei Hirschhorn“ (ca. 100 m entfernt).
Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf das FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“.
Rechtssicherheit: Beeinträchtigung von Naturschutzbelangen im FFH-Gebiet
Wie oben ausgeführt, liegt die geplante Vorrangfläche zu einem Großteil innerhalb des FFH-Gebiets 6518-311 „Steinachtal und Kleiner Odenwald“. Bei FFH-Gebieten handelt es sich um Natura 2000-Gebiete. Mit „Natura 2000“ wird ein europäisches, kohärentes, ökologisches Netz besonderer Schutzgebiete bezeichnet für Gebiete von (europäisch) gemeinschaftlicher Bedeutung. FFH-Gebiete unterliegen als solche dem Verschlechterungsverbot gem. § 33 Abs. 1 BNatSchG. Demnach sind alle Veränderungen und Störungen, die sich negativ auf den Erhaltungszustand von FFH-Lebensraumtypen sowie von Tier- und Pflanzenarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie der EU auswirken können, unzulässig. Im Managementplan des hier betroffenen FFH-Gebiets 6518-311 „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ sind mit der Bechsteinfledermaus, dem Großen Mausohr und der Mopsfledermaus drei laut Hinweispapier der LUBW (2014) als windkraftsensibel klassifizierte Fledermausarten als Zielarten definiert, die gleichzeitig dem Anhang II der FFH-Richtlinie der EU angehören (Regierungspräsidium Karlsruhe, 2020). Für den Schutz dieser windkraftsensiblen Fledermausarten besteht eine europaweite Verantwortung. Damit bestehen im Vorranggebiet HD/RNK-VRG02-W erhebliche naturschutzfachliche Hürden bei der Umsetzung von Windenergieprojekten, die für Projektbetreiber und Investoren mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit verbunden sind. Allein aufgrund der dargestellten besonderen Konfliktlage, insbesondere aber, wenn im Rahmen möglicher Klageverfahren die Rechtmäßigkeit des Vorhabens einer EU-rechtlichen Überprüfung unterzogen werden muss, sind selbst im Erfolgsfall zumindest erhebliche Verfahrensverzögerungen zu erwarten.
Die landesweite Bedeutung dieses Gebiets für windkraftsensible Fledermausarten wird auch angesichts des Fachbeitrags Artenschutz für die Regionalplanung Windenergie der LUBW (2022) deutlich. Demnach umfasst das geplante Vorranggebiet Flächen mit Schwerpunktvorkommen der Kategorie A und B. Zu Schwerpunktvorkommen der Kategorie A gehören dabei naturschutzfachlich sehr hochwertige Bereiche für gesetzlich geschützte, windkraftsensible Arten. „Sie besitzen einen landesweit sehr hohen naturschutzfachlichen Wert, enthalten die für die (Quell-)Populationen landesweit bedeutendsten Flächen und/oder sind wichtiger Schutzraum für eine erhebliche Anzahl (mindestens vier) windkraftsensibler Arten.“ Schwerpunktvorkommen der Kategorie B stellen „naturschutzfachlich hochwertige Bereiche für gesetzlich geschützte, windkraftsensible Arten dar. Sie besitzen einen landesweit hohen naturschutzfachlichen Wert und enthalten für die (Quell-)Populationen wichtige Flächen und/oder sind wichtiger Schutzraum für eine bedeutende Anzahl (mindestens drei) windkraftsensibler Arten“. Das geplante Vorranggebiet gehört laut Fachbeitrag der LUBW (2022) zu fast 100% zum Schwerpunktvorkommen der Kategorie B. Der nordwestliche Teil des geplanten Vorranggebietes ist sogar nach LUBW (2022) Kategorie-A-Fläche. Im Falle einer Windenergienutzung ist für diese Schwerpunktvorkommen von gesetzlich geschützten, windkraftsensiblen Arten der Kategorien A und B von einer erheblichen Beeinträchtigung von Artenschutzbelangen auszugehen.
Bei der Umsetzung von Windenergieprojekten in FFH-Gebieten sind rechtliche Besonderheiten gegenüber Nicht-FFH-Gebieten zu beachten. In FFH-Gebieten gilt ein grundsätzliches Verschlechterungsverbot für den Erhaltungszustand EU-rechtlich geschützter Arten und Lebensraumtypen. Darüber hinaus ist in FFH-Gebieten eine mit Blick über das einzelne betroffene Schutzgebiet hinausgehende Summationsprüfung in Genehmigungsverfahren erforderlich, welche die Realisierung von Projekten weiter verzögert, einschränkt oder sogar verhindert. Die Beeinträchtigung der windkraftsensiblen Arten muss also nicht nur singulär für das im hier betrachteten geplanten Vorranggebiet liegende FFH-Gebiet, sondern auch im Zusammenhang mit bereits bestehenden oder geplanten Beeinträchtigungen geprüft werden. Zusätzliche, kumulativ nachteilige Umweltauswirkungen sind abzuwenden.
Beispielsweise sind kumulativ nachteilige Auswirkungen durch die Nähe des FFH-Gebiets am Lammerskopf zu den bereits bestehenden Windkraftanlagen am Greiner Eck, am Stillfüssel und ggf. zu weiteren Windkraftanlagen am Weißen Stein und am Hohen Nistler („HD/RNK-VRG01-W“) zu erwarten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass bereits der Windpark „Greiner Eck“ in ein bestehendes FFH-Gebiet (6519-304 „Odenwald bei Hirschhorn“) hinein errichtet wurde, für welches mit dem Großen Mausohr und der Mopsfledermaus ebenfalls zwei windkraftsensible Anhang-II-Arten der FFH-Richtlinie Zielarten des Managementplans darstellen. Daher wäre die Kohärenz des NATURA-2000-Schutzgebietsnetzwerks in der Region des Steinachtals bei Schönau an zwei Stellen und damit insgesamt erheblich beeinträchtigt, wenn zu den bereits vorhandenen fünf Windkraftanlagen des Windparks „Greiner Eck“ weitere Anlagen in das benachbarte, nur wenige Kilometer entfernte FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ hinein errichtet werden sollten. Allein dieser negative Summationseffekt schränkt die Rechtssicherheit von Windkraftplanungen am Lammerskopf erheblich ein.
In einem FFH-Gebiet sind alle Veränderungen und Störungen, die sich negativ auf den Erhaltungszustand von FFH-Lebensraumtypen sowie von Tier- und Pflanzenarten des Anhangs II der FFH-Richtlinie der EU auswirken können, unzulässig. Der Schwellenwert für das Verschlechterungsverbot des FFH-Gebietes wird beispielsweise bei der Mopsfledermaus nach (Lambrecht & Trautner 2007) bereits durch den Bau einer einzigen Windenergieanlage mit einer Rodungsfläche von mehr als 1.600 m2 überschritten.
Für die Weiterverfolgung der Windkraftplanung wäre dann eine naturschutzrechtliche Ausnahme gem. § 34 Abs.3 BNatSchG erforderlich. Für diese sind jedoch kumulativ drei Voraussetzungen zu erfüllen:
- Die Zulassung der Errichtung von Windkraftanlagen innerhalb oder im Pufferbereich des FFH-Gebiets "Steinachtal und Kleiner Odenwald" würde die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung auf Basis eines überwiegenden öffentlichen Interesses erfordern. Hierzu wird regelmäßig angeführt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien mit der EU-Notfallverordnung generell vorrangig behandelt werden soll. Diese durch eine EU-Notfallverordnung angeblich gestützte Priorisierung des Ausbaus von erneuerbaren Energien vor einem Biodiversitätsschutz kann für ein besonderes gemeinschaftliches, europäisches Schutzgebiet, einem FFH-Gebiet mit windkraftsensiblen Zielarten, nicht angenommen werden.
„Die Bekämpfung der Klimakrise [erfolgt somit] faktisch auf Kosten der Maßnahmen zur Bekämpfung der Biodiversitätskrise. Für eine solche Priorisierung existiert weder eine wissenschaftliche Grundlage noch ist sie mit völkerrechtlichen Abkommen oder dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbar“ (BVF 2023). Welche negativen Auswirkungen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung auf Basis eines vermeintlich „überwiegenden öffentlichen Interesses“ am Ausbau der Windenergie vor dem Schutz der Biodiversität selbst in einem besonderen gemeinschaftlichen, europäischen Schutzgebiet, einem FFH-Gebiet mit windkraftsensiblen Zielarten und Schwerpunktvorkommen der Kategorie A und B, haben würde, ist ohne weiteres absehbar: Die Folge dürfte nicht nur ein weiteres Anwachsen der schon jetzt weit verbreiteten Politikverdrossenheit, sondern sogar das einer allgemeinen Rechtsverdrossenheit sein, wenn letztlich über die Vorgaben geltenden EU-Rechts hinweg und entgegen aller erhobenen naturschutzfachlichen Fakten mit einer ebenso pauschalen wie unbelegten Behauptung eines „überwiegenden“ öffentlichen Interesses eine Ausnahmegenehmigung für den Bau von Windkraftanlagen im FFH-Gebiet am Lammerskopf erteilt würde. - Ebenfalls rechtlich problematisch ist nach BNatSchG § 45b Abs. 8 Nr. 3 (Gellermann, 2022) die zweite Voraussetzung, welche für die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Ausnahme erfüllt werden müsste: das Fehlen zumutbarer Standortalternativen, mit denen das Projektziel ohne oder mit geringer Beeinträchtigung zu erreicht werden kann. Hier müssen Gebiete in der Umgebung des Planungsgebiets als Alternativen geprüft werden, insbesondere solche, die nicht als FFH-Gebiete gelistet werden, und somit nicht als europäisches Schutzgebiet unter den genannten besonderen Schutz fallen. Beispielsweise befindet sich die Vorrangfläche HD/RNK-VRG01-W „Weißer Stein“ in räumlicher Nähe: in weniger als 3 km, bzw. im nördlichen Teil sogar etwa in 500 m Entfernung zum „Lammerskopf“. Eine Einschätzung hinsichtlich der Eignung für Windkraftprojekte im Bereich „Weißer Stein“, welcher im Umweltbericht zum Teilregionalplan Windenergie angesichts zu erwartender hoher negativer Umweltauswirkungen vom Regierungspräsidium Karlsruhe als nicht geeignet eingestuft wurde, ist nicht Teil dieser Stellungnahme. Es ist jedoch zu erwarten, dass bei einer Realisierung von Windkraftprojekten am Lammerskopf und am benachbarten Weißen Stein zusätzliche, kumulativ nachteilige Umweltauswirkungen eintreten werden. Dazu ist eine entsprechende Summationsprüfung im Genehmigungsverfahren vorzunehmen.
Bei aller Schwierigkeit der Abwägung im Einzelnen kann jedoch sicher nicht einfach davon ausgegangen werden, dass zumutbare Alternativen in der nahegelegenen Umgebung des geplanten Vorranggebiets am Lammerskopf nicht zur Verfügung stehen. - Weiter ist die Erteilung einer Ausnahme an erfolgreiche Kohärenzsicherungsmaßnahmen im Sinne des §34 Abs. 5 BNatSchG geknüpft. Diese Voraussetzung kann nicht, oder nur schwer erfüllt werden: Der Erhaltungszustand der betroffenen Fledermausarten ist sowohl in Baden-Württemberg als auch auf europäischer Ebene betrachtet schlecht/ungünstig bis unzureichend. Es existieren zudem kaum Daten zur genauen Verbreitung, zur Populationsgröße und zum Erhaltungszustand der einzelnen Fledermausarten, da die Untersuchungen dafür sehr zeit- und kostenintensiv sind. Deshalb ist es kaum möglich, eine gesicherte Aussage darüber zu treffen, welche Gefährdungen von der Beeinträchtigung oder dem Verlust lokaler Fledermauspopulationen auf dem Lammerskopf für die Kohärenz des „Natura 2000“-Netzes in der Region ausgehen würde.
Wird der Lebensraum (z.B. Jagd- und Quartiergebiete) der betroffenen Population beeinträchtigt, müssen Maßnahmen ergriffen werden, um die ökologische Kohärenz des „Natura-2000“-Schutzgebietsnetzes zu sichern. Um dieses erfüllen zu können, müssen ausreichend Maßnahmenflächen zur Verfügung stehen, etwa indem Wälder großflächig aus der Nutzung genommen werden. In der Praxis wird jedoch häufig auf künstliche Quartiere als Hilfsmaßnahmen zurückgegriffen.
Die Anbringung künstlicher Quartiere zur Wahrung der ökologischen Kohärenz des „Natura 2000“-Netzes wäre beim Lammerskopf höchstwahrscheinlich nicht erfolgreich, da gerade die besonders betroffene Mopsfledermaus, die überwiegend Quartiere hinter abstehender Baumrinde nutzt, Fledermauskästen äußerst selten annimmt. Generell ist die Wahrscheinlichkeit, dass solche neuen, für die Fledermäuse unbekannten Quartiere in den ersten Jahren nach der Anbringung besiedelt werden, sehr gering (Pschonny, 2022).
Daraus ergibt sich zwingend, dass wenn auf dem Lammerskopf ein Windkraftprojekt realisiert würde, mit erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebietes und des gesamten „Natura-2000“-Schutzgebietsnetzes in der Region zu rechnen wäre, die nicht durch Kohärenzsicherungsmaßnahmen ausgeglichen werden können.
Rechtssicherheit: Vertiefende FFH-Verträglichkeitsprüfung
An diese Feststellung schließt direkt unsere kritische Sicht auf die Leistungsfähigkeit der aktuell im FFH-Gebiet im Bereich Lammerskopf durchgeführten vertiefenden FFH-Verträglichkeitsprüfung an:
Im von ForstBW ausgeschriebenen Waldgebiet am Lammerskopf sind die Errichtung und Betrieb von bis zu 15 Windkraftanlagen samt Zuwegung geplant. Von der Bürgerwindpark Lammerskopf GmbH & Co. KG wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, um im Rahmen einer vertiefenden FFH-Verträglichkeitsprüfung die Beeinträchtigungen für die Zielarten und Ziellebensraumtypen des FFH-Gebietes im Falle der Realisierung des Windparks abzuschätzen. Das Gutachten muss unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse und unter Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen nachweisen, dass eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele der betroffenen „Natura-2000“-Gebiete durch das Vorhaben ausgeschlossen ist (BVerwG, Urteil v. 17.1.2007 – 9 A 20.05 mit Verweis auf EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - Slg. 2004, I-7405, Rn. 36, 38).
Dafür werden mit naturschutzfachlich anerkannten Methoden Daten im Freiland erhoben. Insbesondere die Erfassung der Fledermausarten bzw. die Beurteilung des Zustands der Populationen sind jedoch methodisch und zeitlich sehr aufwendig. Beispielsweise um Wochenstubenquartiere von Fledermausarten nachzuweisen, müssen Tiere gefangen, besendert und mehrere Nächte radiotelemetrisch verfolgt werden.
Die so gewonnenen Informationen müssen die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse (d.h. aktualisierte Daten zu Schutzgütern) aus dem Freiland darstellen und sollten folgende wichtige Parameter zum jeweiligen Erhaltungszustand der Populationen beschreiben (Schnitter et al., 2006):
Populationsgröße
- Erfassung der Wochenstubenkolonien
- Erfassung der Wochenstubendichte
- Bestimmung der Aktivitätsdichte als relative Häufigkeitsangabe im Jagdgebiet
- Kontrolle von Winterquartieren
Populationsstruktur
- Nachweis (Status) von Reproduktion bzw. Anzahl säugender Weibchen bzw. Jungtiere in einer Kolonie
Habitatqualität
- Ermittlung der gebietstypischen Habitatpräferenzen
- Quantitative Abschätzung der relevanten Habitatparameter
- Erhaltungsgrad der essenziellen Habitate und Habitatstrukturen
Beeinträchtigungen
- Berücksichtigung aktueller Einflussfaktoren
Aktuelle und potenzielle Fläche der FFH-Lebensraumtypen
Die zur Dokumentation dieser Parameter erforderlichen Felddaten lassen sich im Rahmen eines Gutachtens verständlicherweise nur annäherungsweise darstellen. Dennoch muss das Gutachten hinsichtlich Umfang und Qualität der Untersuchungsergebnisse eine verlässliche Abschätzung der von den Windkraftplanungen des Betreiberkonsortiums ausgehenden Gefährdungen, welche potenzielle Risiken für Schutzgüter darstellen, erlauben.
Angesichts der Größe des Untersuchungsgebietes (ca. 360 ha FFH-Gebietsfläche plus Pufferzone), der angestrebten Zahl möglicher Windkraftanlagen (bis zu 15), der für Felduntersuchungen schwierigen Topografie des Untersuchungsgebiets und insbesondere aufgrund der Vielzahl der im Gebiet zu erwartenden windkraftsensiblen Fledermausarten halten wir eine lediglich eine Saison abdeckende Studie für die „vertiefende“ FFH-Verträglichkeitsprüfung für nicht ausreichend, um mit dessen Ergebnissen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung hinreichend und damit rechtssicher begründen zu können.
Rechtssicherheit: Pledges-Arten des Landes Baden-Württemberg
Die Mopsfledermaus gehört neben der Wildkatze und dem Grauen Langohr zu den drei priorisierten FFH-Säugetierarten, für die sich Baden-Württemberg im Rahmen der „EU-Biodiversitätsstrategie 2030“ verpflichtet hat, eine Verbesserung des Erhaltungszustands oder zumindest die Erreichung eines deutlich positiven Gesamttrends bis 2030 zu bewirken, sogenannte „Pledges“-Arten (pers. Mitt. Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft des Landes Baden-Württemberg, 27.03.2024). Diesem Ziel steht ein erheblicher Eingriff, den ein Windpark sowohl in der Bau- als auch in der Betriebsphase und unabhängig von der Anzahl der Anlagen für den Lebensraum der genannten Arten darstellen würde, entgegen.
Prioritäre Lebensraumtypen und Arten müssen gemäß § 34 (4) BNatSchG gesondert betrachtet werden. Dieses Gesetz gestattet Ausnahmeverfahren nur in besonders begründeten Fällen. Darüber hinaus muss eine Stellungnahme der EU-Kommission eingeholt werden.
Zusammenfassend betrachtet müssen erhebliche rechtliche Hürden bei der Planung, Genehmigung und Umsetzung von Windenergieprojekten in dem FFH-Gebiet auf dem Lammerskopf, einem besonderen gemeinschaftlichen, europäischen Schutzgebiet, deren Zielarten windkraftsensible Fledermausarten miteinschließen, und mit Schwerpunktvorkommen der Kategorien A und B, erwartet werden, so dass die Planung und Realisierung von Windkraftprojekten in diesem Gebiet für Projektbetreiber und Investoren mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit verbunden sind. Insbesondere wenn das Vorhaben in einem Klageverfahren artenschutzrechtlich geprüft werden muss, ist mit einer Genehmigung und Umsetzung von Windenergieprojekten – wenn überhaupt – nicht ohne Weiteres und nicht zeitnah zu rechnen.
Betroffene FFH-Lebensraumtypen
Als im Zuge der Raumordnung zur Windkraftnutzung im vorgeschlagenen Vorranggebiet HD/RNK-VRG02-W bedeutsame FFH-Lebensraumtypen (LRT) führt der Managementplan für das FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ die LRTen 9110 („Hainsimsen-Buchenwald“), 9130 („Waldmeister-Buchenwald“) und 9180 („Schlucht- und Hangmischwälder“) auf.
Der Managementplan des FFH-Gebiets sieht die betroffenen LRTen überwiegend in einem „hervorragenden“ (9110 und 9130) bis „guten“ (9180) Erhaltungszustand (RP Karlsruhe 2020). Es handelt sich dabei zum Teil um Altwaldbestände mit bis zu 190-jährigen Rotbuchen und bis zu 180-jährigen Eichen, die mit ihrem Angebot an Nist- und Quartierhöhlen essenzielle Lebensraumstrukturen für zahlreiche Vogel- und Kleinsäugerarten, insbesondere waldbewohnende Fledermäuse darstellen.
Als Entwicklungsziel wird daher für alle drei LRTen die Erhöhung des Angebots an lebensraumtypischen Habitatstrukturen (Totholz, Habitatbäume) angegeben.
1 FFH = Fauna-Flora-Habitat Richtlinie; Name des Abkommens 92/43/EWG der EU zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen vom 21. Mail 1992
Die Entwicklungsziele für die hier relevanten LRTen im vorgeschlagenen Vorranggebiet HD/RNK-VRG02-W stehen somit in einem engen Zusammenhang mit den im Managementplan für die im FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ vorkommenden windkraftsensiblen Fledermausarten festgelegten Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen.
Betroffene windkraftsensible Fledermausarten
Im geplanten Vorranggebiet HD/RNK-VRG02-W sind drei Fledermausarten des FFH-Anhangs II im Managementplan als Zielarten festgehalten.
Von Bechsteinfledermaus und Großem Mausohr liegen Funde einzelner Tiere aus Fledermauskästen vor, die im Rahmen von regelmäßig durchgeführten Kastenkontrollen durch Frau Brigitte Heinz (AG Fledermausschutz Baden-Württemberg e.V.) gemacht und dokumentiert wurden. In den Kästen wurden über die oben genannten Fledermausarten hinaus auch noch die Zwergfledermaus, der Kleinabendsegler und das Braune Langohr gefunden. An der Lärchengartenhütte konnten zudem Kotspuren und Nahrungsreste des Braunen Langohrs nachgewiesen werden (Spielmann 2023 mdl.) Ebenfalls an der Lerchengartenhütte wurden Zwergfledermäuse und eine Breitflügelfledermaus nachgewiesen, die dort ein Spaltenquartier nutzen (Spielmann mdl.).
In Altneudorf, weniger als 1.000 m Entfernung des Plangebiets befindet sich eine landesweit bedeutsame Wochenstube des Großen Mausohrs (ca. 600 reproduzierende Weibchen). Es muss davon ausgegangen werden, dass die Tiere die umliegenden Wälder des FFH-Gebiets – und damit auch das geplante Vorranggebiet als Jagdgebiet nutzen. Alleinlebende Männchen des Großen Mausohrs haben ihre Einzelquartiere dort im Plangebiet.
Von der Mopsfledermaus existierten bislang Telemetriedaten eines einzelnen Weibchens aus einer Wochenstube bei der Burg Schadeck. Das Tier nutzte das Lindenbachtal als Jagdgebiet.
In den Sommermonaten des Jahres 2023 wurden von Frau Edit Spielmann (AG Fledermausschutz Baden-Württemberg e.V. und BUND Steinachtal), akustische Erfassungen an sechs Standorten entlang des Bergrückens im FFH-Gebiet durchgeführt. Dabei konnte insgesamt eine hohe bis sehr hohe Fledermausaktivität festgestellt werden. Es wurden insgesamt elf Arten nachgewiesen. Über die bisher bekannten Arten hinaus konnten die Bartfledermaus (M. brandtii/mystacinus), die Mückenfledermaus, die Rauhautfledermaus, der Große Abendsegler und die Breitflügelfledermaus nachgewiesen werden (Spielmann 2023). Auch das Mopsfledermaus-Vorkommen konnte an allen(!) sechs Beobachtungsstandorten bestätigt werden. Eine besonders hohe Aktivität dieser Art war am Münchel zu verzeichnen. Die Daten legen nahe, dass die Mopsfledermaus im ganzen Vorschlagsgebiet HD/RNK-VRG02-W präsent ist.
Da die Ruf- und Flugaktivität der Fledermäuse pro Standort jeweils nur fünf Nächte lang erfasst wurde, ist bei höher Erfassungsintensität mit dem Vorkommen weiterer Fledermausarten zu rechnen. Arnold (2017) erfasste im Odenwald zwischen Weinheim und Dossenheim in vergleichbaren Habitaten 15 Fledermausarten, u.a. die Wimperfledermaus, eine weitere Anhang-II-Art. Auch die Einträge im Bat-Portal der AG Fledermausschutz Baden-Württemberg e.V. dokumentieren das Vorkommen weiterer Arten in der näheren Umgebung: die Zweifarbfledermaus, die Fransenfledermaus und die Wasserfledermaus (Winterquartier in Dilsberg). Im neu errichteten Winterquartier in Schönau (etwa in 1 km Entfernung vom Plangebiet) überwintern das Große Mausohr, Braunes Langohr und die Bartfledermaus. Zahlreiche Herbst- und Winternachweise der Rauhautfledermaus in der näheren Umgebung belegen, dass auch diese Art im Gebiet überwintert.
Der Managementplan für das FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ beschreibt die erforderlichen Maßnahmen und Entwicklungsziele für die FFH-Anhang-II-Arten unter den Fledermausarten. Die Erhaltungszustände dieser Arten sind zu sichern und ggf. wiederherzustellen.
Um dieses Ziel zu erreichen, sind im Managementplan folgende Erhaltungs- und Entwicklungsmaßnahmen vorgesehen:
- Erhaltung und Schutz von Fledermausquartieren
- Quartierschutzmaßnahme in alten oder als Dauerwald bewirtschafteten Laubwaldbeständen
- Erhaltung von Jagdgebieten und Leitstrukturen für Fledermäuse
- Förderung von Laubholzbeständen als Lebensstätte für waldbewohnende Fledermausarten – auch außerhalb der geschützten Lebensraumtypen“
Die im Managementplan formulierten Erhaltungs- und Entwicklungsziele und die dafür festgelegten Maßnahmenempfehlungen machen es darüber hinaus erforderlich, das FFH-Gebiet als Ganzes, d.h. sowohl innerhalb als auch außerhalb der geschützten Lebensraumtypen, sowie innerhalb und außerhalb der essenziellen Jagdgebiete der genannten Fledermausarten von Windkraftanlagen freizuhalten. Dies gilt insbesondere für ökologisch besonders wertvolle Wälder. „Diese Lebensräume sollten als Tabubereiche definiert werden, weil sie in der Regel Habitate für zahlreiche streng geschützte Arten sind, die durch Bau und Betrieb einer Windenergieanlage erheblich beeinträchtigt werden können“, wie es BUND und NABU in ihrem im November 2023 aktualisierten Positionspapier „Naturverträglicher Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg.“ formulieren (BUND & NABU 2023, s. Anlage).
Die drei FFH-Anhang-II-Zielarten, die im Plangebiet vorkommen, gehören zu den „Verantwortungsarten“, für deren Erhalt Deutschland eine hohe Verantwortung trägt. Der jeweilige aktuelle Erhaltungszustand der Arten wird in Tab. 1 dargestellt.
Lebensraumverlust – Beeinträchtigung der Fledermauspopulationen
Aus den akustischen Erfassungen von Spielmann (2023) geht hervor, dass die Mopsfledermaus das gesamte FFH-Gebiet – mit einem besonderen Schwerpunkt um den „Münchel“ herum – als Lebensraum nutzt. Aufgrund der Intensität und der Verteilung der Rufaktivität dort (im Durchschnitt 44 Aufnahmen/Nacht) muss davon ausgegangen werden, dass sich dort mindestens ein Quartierbaum eines Wochenstubenverbands befindet.
Bei der Mopsfledermaus handelt es sich um eine Sonderstatus-Art, bei welchen mit einer Verschlechterung des Erhaltungszustands auf Landesebene im Falle eines Verstoßes gegen die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote zu rechnen ist (LUBW 2022).
Es muss davon ausgegangen werden, dass die auf die Baumaßnahmen im Zuge der Realisierung von Windkraftprojekten zurückzuführenden Verluste von Quartierbäumen, bzw. im Falle der Bechsteinfledermaus und des Braunes Langohrs deren essenzieller Jagdgebiete, erhebliche negative Auswirkungen auf die jeweiligen Fledermauspopulationen haben, bis hin zu einem Erlöschen der gesamten Population. Eine genetische Verarmung in regionalen und überregionalen Populationen wäre aufgrund der reduzierten Vernetzung die Folge, was die Resilienz der jeweiligen Arten und damit die regionale Biodiversität verschlechtern würde.
Leise rufende Arten, wie z.B. Großes Mausohr, Langohr und Bechsteinfledermaus, meiden Waldflächen, abhängig von der Windgeschwindigkeit bis zu 450 m, im Umfeld von Windkraftanlagen, da offenbar die von den Rotorblättern erzeugten Geräuschemissionen die Orientierung beeinträchtigen (Ellenbrok 2024). Dadurch geht diesen Arten großflächig Lebensraum verloren. Die Störung würde damit insgesamt ein deutlich größeres Areal betreffen als die von den Windkraftanlagen beanspruchte Stand- und Versorgungsfläche.
Gefährdung durch Kollision – Fledermauszug
Im Gebiet kommen auch der Große und der Kleine Abendsegler, die Mückenfledermaus sowie die Rauhautfledermaus vor. Beim Kleinen Abendsegler gibt es Hinweise auf mindestens einen Quartierstandort im FFH-Gebiet (Siebenbrunnenteichweg), da regelmäßig dort gut erkennbare „quartiernahe Rufe“ aufgezeichnet wurden (Spielmann 2023). Alle vier Arten sind durch die Kollision mit Windkraftanlagen gefährdet, insbesondere zur Zugzeit. Der Große Abendsegler als Art des Anhangs II der FFH-Richtlinie ist hier besonders hervorzuheben. Arnold (2017) wies sowohl im Frühjahr als auch im Herbst reges Zuggeschehen der genannten Arten an der Westkante des Odenwaldes nach. Daher ist am Lammerskopf ebenfalls mit einer ähnlichen Zugphänologie zu rechnen. Verluste durch Schlagopfer auf dem Lammerskopf würden die Populationen des Großer Abendseglers und der Rauhautfledermaus auch in ihren entfernten Wochenstubengebieten beeinträchtigen.
Andernorts sind hohe Opferzahlen bei diesen Arten bekannt (Dürr, 2022). Der Große Abendsegler fliegt bei seinen Streckenflügen stets in einer Flughöhe von über 50 m, häufig auch über 200 m. Bei der Nahrungssuche sinkt die Höhe des Flugs auf 100 m und erst später, vor dem Aufsuchen des Quartiers unter 50 m (Abb.2) (Meineke, 2015). Der Kleinabendsegler fliegt etwas niedriger, oft in der Höhe von 30-100 m, während die Flughöhe der Rauhautfledermaus häufig bei über 40 m liegt (Dietz et al., 2012). Damit liegt die durchschnittliche Flughöhe zumindest der beiden Abendseglerarten im Rotorenbereich moderner Windkraftanlagen (ca. 90-260 m Höhe).
Mit Hilfe von Abschaltalgorithmen kann zwar das Schlagrisiko verringert werden, doch die Wirksamkeit der Maßnahmen wird später häufig nicht mehr überprüft und die Abschaltzeiten werden zukünftig (nach der neuen gesetzlichen Regelung) nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten begrenzt. Zudem können Algorithmen nicht auf spontane Schwärmereignisse reagieren, wie sie beispielsweise bei jungen Zwergfledermäusen zu beobachten sind, so dass trotz Abschaltalgorithmen mit erheblichen Anzahlen an Schlagopfern bei diesen Fledermausarten zu rechnen ist. (Kruszynski et al. 2022). Über das erhöhte Tötungsrisiko von Einzeltieren hinaus können die hohe Schlagopferraten sogar lokal und auch regional zu einem Aussterben von Fledermauspopulationen der besonders betroffenen Arten führen (Hötker et al. 2005).
Würde auf dem Lammerskopf ein Windkraftprojekt realisiert werden, wäre mit erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebietes zu rechnen, die nicht durch Kohärenzmaßnahmen ausgeglichen werden können.
Vergeudete Mittel für den Naturschutz im NATURA-2000-Netzwerk
Das Land Baden-Württemberg investiert viele Millionen Euro für die Naturschutzarbeit in und im Einflussbereich von Natura-2000-Gebieten. Über viele Jahre wurden erhebliche Mittel, aus nationalen Budgets und aus EU-Fördertöpfen – letztlich aber immer aus Steuermitteln – aufgewendet, um ein kohärentes Gebietsmanagement für das Natura-2000-Schutzgebietsnetz der EU in Baden-Württemberg zu entwickeln und in der Praxis umzusetzen. Dies ist ein niemals abgeschlossenes „Projekt“, das auch künftig mit umfangreichen Finanzmitteln ausgestattet werden muss, um die Ziele der Natura-2000-Strategie als tragende Säule des Naturschutzes in der Europäischen Union zu erreichen.
Der Verband Region Rhein-Neckar würde mit der Ausweisung von Vorranggebieten für den Ausbau der Windkraftnutzung in FFH-Gebieten die eigentliche Strategie des Natura-2000-Schutzgebietsnetzes der EU untergraben.
Während noch nicht einmal alle Managementpläne abgeschlossen vorliegen und noch kaum Maßnahmen ergriffen wurden, um aktuelle Entwicklungstrends der Erhaltungszustände der jeweiligen FFH-Zielarten und -Lebensraumtypen zu erfassen, wird schon jetzt versucht, in erheblichem Maße in die Gebiete einzugreifen. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand, welcher bedeutende Personalressourcen und Finanzmittel bindet, geht zu Lasten der Umsetzung der eigentlichen Arbeit für die Natura-2000-Gebiete in der Region.
Insbesondere muss diese Feststellung gelten, wenn das Gebiet HD/RNK-VRG02-W „Lammerskopf“ in den Teilregionalplan Windenergie als Vorranggebiet für die regional bedeutsame Windenergienutzung aufgenommen würde.
Die BUND-Gruppen OV Steinachtal, OV Neckargemünd und KV Heidelberg erachten es als eine bedeutende Aufgabe des VRRN, sich schützend vor die Natura-2000-Gebiete in der Metropolregion zu stellen, sich für den Schutz und die Verbesserung der Erhaltungszustände der jeweiligen Schutzziele stark zu machen und eine Natura-2000-Öffentlichkeitsarbeit in der Metropolregion zu entwickeln, welche zum Ziel hat, die Bürgerinnen und Bürger der Metropolregion, aber auch die touristischen Besucher mit diesem beeindruckenden EU-Naturschutz besser vertraut zu machen. Dadurch würde zudem der hohe Stellenwert von Natur und Landschaft im Allgemeinen und des Naturschutzes im Speziellen in der Region Rhein-Neckar gestärkt und sichtbar gemacht.
Wir bitten, die in diesem Kapitel beschriebenen Zusammenhänge bei der Ausgestaltung des Teilregionalplans Wind der Metropolregion Rhein-Neckar im Auge zu behalten und die FFH- und EU-Vogelschutz-Gebiete der Region grundsätzlich von der Windenergiegewinnung freizuhalten, insbesondere keine Vorranggebiete für die regional bedeutsame Windenergienutzung in und im Nahbereich von Natura-2000-Gebieten auszuweisen.
Lammerskopf – ideal für ein Artenhilfsprogramm
Die BUND-Gruppen OV Steinachtal, OV Neckargemünd und KV Heidelberg schlagen an dieser Stelle vor, der herausragenden ökologischen Bedeutung des derzeit von der ForstBW bewirtschaften Waldes am Lammerskopf Rechnung zu tragen und diesen nicht als Vorranggebiet für die Windenergienutzung auszuweisen, sondern das Gebiet stattdessen für die Realisierung eines sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene vorgesehenen Artenhilfsprogrammes zu nutzen.
Ziel dieser Artenhilfsprogramme ist die Förderung und Sicherung windkraftsensibler Vogel- und Fledermauspopulationen in dafür besonders geeigneten Gebieten, um Verluste bei diesen Arten, die mit dem beschleunigten Ausbau der Windenergie an anderer Stelle unweigerlich verbunden sind, auszugleichen.
Das vierte Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) regelt im neu geschaffenen § 45d die Verpflichtungen des Bundes zur Aufstellung nationaler Artenhilfsprogramme (AHP). Artenhilfsprogramme sind Instrumente des Artenschutzes, die dem dauerhaften Schutz der Arten dienen, die durch den Ausbau der erneuerbaren Energien besonders betroffen sind.
Es ist wichtig, die Artenhilfsprogramme bei der Ausweisung von Vorranggebieten im Regionalplan bereits mitzudenken und ökologisch besonders wertvolle Altwaldbereiche wie jene im Umfeld des Lammerskopfs dafür freizuhalten. Die Flächen der Kategorie A und B gemäß des Fachbeitrags Artenschutz (LUBW 2022) sind für die Umsetzung der Artenhilfsprogramme die richtige Kulisse, da sie naturschutzfachlich bereits heute hochwertige bzw. sehr hochwertige Bereiche für gesetzlich geschützte, windkraftsensible Arten darstellen und einen wichtigen Schutzraum für mindestens drei der regional vom Ausbau der Windkraft betroffenen Arten bilden. Hier können daher bevorzugt Quellpopulationen dieser Arten aufgebaut, unterstützt und deren Bestände auf regionaler Ebene für die Zukunft gesichert werden.
In unseren Augen wäre es allein deshalb wichtig, die für ein derartiges Artenhilfsprogramm benötigten Waldareale schon frühzeitig in die regionale Raumplanung einzubeziehen, weil anderenfalls ausreichend große und hinsichtlich ihrer ökologischen Ausstattung geeignete Gebiete, in denen mit vergleichsweise geringem Aufwand wirksame Maßnahmen im Sinne der Artenhilfsprogramme durchgeführt werden können, schnell vollständig durch den Ausbau der Windkraftnutzung sowie durch vielfältige andere Nutzungsinteressen „besetzt“ und dadurch für die Sicherung und Vernetzung der Lebensräume windkraftsensibler Arten ausfallen würden.
Neben der Mopsfledermaus gibt es am Lammerskopf bedeutende Bestände von mindestens zehn weiteren Fledermausarten (Spielmann 2023). Viele von ihnen benötigen zwingend alte Wälder mit einem hohen Totholzanteil für ein gutes Quartierangebot und als Jagdgebiet. Es bietet sich dringend an, diese Vorkommen besonders zu fördern und einem besonderen Schutz zu unterstellen, um damit die Stützung anderer, durch den forcierten Ausbau der Windkraft unvermeidlich beeinträchtigter Populationen in der Region zu ermöglichen.
Wichtig ist uns zu betonen, dass es grundsätzlich nicht ausschließlich um den Schutz gefährdeter Fledermäuse geht. Denn diese Tiere sind im Grunde nur „Flaggschiff“-Arten, sozusagen die prominenten Stellvertreter für eine Reihe artenreicher Lebensgemeinschaften in alten Buchenmischwäldern, für deren Erhaltung Baden-Württemberg im internationalen Maßstab eine besondere naturschutzfachliche Verantwortung trägt.
Die überwiegende Mehrheit der Windenergieanlagen wird derzeit im Wald geplant. Daher müssen wir Flächen für Artenhilfsprogramme im Wald sichern. Sie sollten großflächig und störungsarm sein, sich möglichst im Landesbesitz befinden und mit einem Laubmischwald bestockt sein, der einen hohen Anteil von Bäumen über 100 Jahre aufweist. Diese Bedingungen sind am Lammerskopf in weiten Bereichen des dortigen Waldes vollständig erfüllt.
Literatur
- Arnold, A. (2017): Fledermauserfassung im Bereich der Windkraftplanung des Nachbarschaftsverbandes Heidelberg-Mannheim. Bergstraße/Odenwald, KZW 9 und 10. Endbericht, RIFCON GmbH, Hirschberg.
- BUND & NABU (2023): Naturverträglicher Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg. Positionspapier von BUND und NABU, November 2023, URL: https://www.dialogforum-energie-natur.de/wp-content/uploads/2023/11/2023-11-09-BUND-NABU-Windposition.pdf
- Bundesamt für Naturschutz (BfN): Artenportraits über Arten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie sowie um Vögel der Vogelschutzrichtlinie. Online: https://www.bfn.de/artenportraits
- BVF (2023): Position des Bundesverbandes für Fledermauskunde Deutschland e.V. (BVF) zur „EU-Notfallverordnung“ und der Formulierungshilfe des BMWK „Beschleuniger für Wind- und Netzausbau“. Stand März 2023
- Dietz M., K. Bögelsack, A. Hörig, F. Normann (2012): Gutachten zur landesweiten Bewertung des hessischen Planungsraumes im Hinblick auf gegenüber Windenergienutzung empfindliche Fledermausarten, im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung.
- Dürr, T. (2022): Fledermausverluste an Windenergieanlagen in Europa. Dokumentation aus der zentralen Datenbank der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt Brandenburg (Stand: 17.06.2022). Landesamt für Umwelt Brandenburg, Nennhausen/ OT Buckow.
- Ellerbrok J.S.; Farwig N., Peter F. und C. Voigt (2024): Forest bat activity declines with increasing wind speed in proximity of operating wind turbines. Global Ecology and Conservation 94. https://doi.org/10.1016/j.gecco.2023.e02782
- Gellermann, M. (2022): Das Vierte Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes. NuR 44, 589–599
- Hötker, H.; Thomsen, K.-M. und H. Köster (2005). Auswirkungen regenerativer Energiegewinnung auf die biologische Vielfalt am Beispiel der Vögel und der Fledermäuse. BfN Skripten. Bonn - Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.). 142 S.
- Kruszynski, C.; Bailey, L.D.; Bach, L.; Bach, P.; Fritze, M.; Lindecke, O.; Teige, T. und C.C. Voigt (2022): High vulnerability of juvenile Nathusius’ pipistrelle bats (Pipistrellus nathusii) at wind turbines. – Ecol. Appl., 32: 1-12. DOI: 10.1002/eap.2513
- Lambrecht, H.; Trautner, J.; Kaule, G. und E. Gassner (2004): Ermittlung von erheblichen Beeinträchtigungen im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. - FuE- Vorhaben im Rahmen des Umweltforschungsplanes des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz - FKZ 801 82 130 [unter Mitarb. von M. RAHDE u. a.]. – Endbericht: 316 S. - Hannover, Filderstadt, Stuttgart, Bonn, April 2004.
- LUBW - Landesanstalt Für Umwelt, Messungen Und Naturschutz Baden-Württemberg (2014): Hinweise zur Untersuchung von Fledermausarten bei Bauleitplanung und Genehmigung für Wind- energieanlagen. 39 S., Karlsruhe.
- LUBW - Landesanstalt Für Umwelt, Messungen Und Naturschutz Baden-Württemberg (2022): Fachbeitrag Artenschutz für die Regionalplanung Windenergie. 31 S., Karlsruhe.
- Meineke, Thomas (2015): Phänologie und Verhalten flugaktiver Großer Abendsegler Nyctalus noctula (Schreber, 1774) im südlichen Niedersachsen in den Jahren 2000 bis 2014. Säugetierkundliche Informationen, Jena 9, H. 49 (2015) 403 - 428
- Pschonny, S.; Leidinger, J.; Leitl, R. und W. Weisser (2022): What makes a good bat box? How box occupancy depends on box characteristics and landscape-level variables. Ecological Solution and Evidence, Volume 3, Issue 1. https://doi.org/10.1002/2688-8319.12136
- Regierungspräsidium Karlsruhe (Hrsg.) (2020): Managementplan für das FFH-Gebiet 6518-311 „Steinachtal und Kleiner Odenwald" sowie die Vogelschutzgebiete 6618-401 „Steinbruch Leimen" und 6618-402 „Felsenberg" - bearbeitet von Spang. Fischer. Natzschka. GmbH
- Schnitter, P., Eichen, C., Ellwanger, G., Neukirchen, M. & E. Schröder (Bearb.) (2006): Empfehlungen für die Erfassung und Bewertung von Arten als Basis für das Monitoring nach Artikel 11 und 17 der FFH-Richtlinie in Deutschland. - Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt (Halle), Sonderheft 2.
- Spielmann, E. (2023): Fledermäuse im FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ bei Schönau – eine Sondierung. Der Flattermann, 35: 16-23.
Anlage
- BUND & NABU (2023): Naturverträglicher Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg. Positionspapier von BUND und NABU, November 2023
- Spielmann, E. (2023): Fledermäuse im FFH-Gebiet „Steinachtal und Kleiner Odenwald“ bei Schönau – eine Sondierung. Der Flattermann, 35: 16-23.