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Trinkwasser in Kolumbien

Privatisierung des Trinkwassers in Kolumbien -- Mega-Tagebauprojekte im ganzen Land! Die Kolumbianer wehren sich gegen diese Katastrophen. Ein Bericht von Néstor Ocampo, übersetzt von Ilge Wilhelm.

Wasserproblematik in Kolumbien

Kolumbien ist eines der wasserreichsten Länder der Erde, weltweit liegt es wohl an dritter Stelle. Die weltweit durchschnittliche Wasserleistung pro Quadratkilometer liegt etwa bei 11 Litern pro Sekunde, in Amerika ungefähr bei 24 Litern pro Sekunde und in Kolumbien bei 58 Litern pro Sekunde. Fast sechs Mal soviel wie im weltweiten Durchschnitt. Kolumbien verfügt über die zwei größten Süßwasserreserven der Welt: Die Anden und das Amazonasgebiet. Aber paradoxerweise haben Millionen von Kolumbianern keinen Zugang zu Trinkwasser oder leiden Durst. Klar, es sind die armen Leute!

Nach dem Bericht der Defensoría del Pueblo (das ist eine staatliche Einrichtung für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte), haben 12 Millionen Kolumbianer keinen Zugang zu Trinkwasser und vier Millionen haben Schwierigkeiten, an Trinkwasser zu kommen, das darüber hinaus nicht sauber ist. Und, was das Schlimmste ist, das Institut für Wasser-, Wetterkunde und Umweltstudien (IDEAM) sagt voraus, dass bis zum Jahr 2025 ein Anteil von 69% der Bevölkerung unter Wassermangel leiden wird. An dieser Situation ist an erster Stelle die soziale Ungleichheit schuld, danach die Entwaldung und Zerstörung der Ökosysteme, die schlechte Handhabung der Wassereinzugsgebiete, die schlechte Nutzung des Wassers, die Verschmutzung der Gewässer und die ungünstige Verteilung der Bevölkerung auf dem nationalen Territorium.

Privatisierung als "Lösung"

Die "Lösung", die uns die multinationalen Organe, die die Welt beherrschen (Weltbank, der internationale Währungsfonds, die Gruppe der Acht, die internationalen Wirtschaftsübereinkommen usw.) aufdrücken, unterstützt von der kolumbianischen Regierung, ist, die Wasserquellen und Leitungen Privatunternehmen zu übergeben, das heißt, das Wasser in eine Handelsware zu verwandeln und die öffentliche Wasserversorgung in ein privates Geschäft. Dieser Prozess ist schon fortgeschritten und es wird Gewalt angewendet. Große nationale und internationale (hauptsächlich französische) Wirtschaftsgruppen sind dabei, sich der Wasserquellen und der Wasserversorgungsunternehmen zu bemächtigen. Das setzt sich überall in Kolumbien (wie überall in der Welt) durch. Und hier bei uns bedient man sich in manchen Gegenden der Gewalt verschiedenster Art. Viele von uns sind damit aber nicht einverstanden!

In Calarcá (das wie die meisten Gemeinden das Trinkwasser direkt aus Bächen gewinnt) passierte das vor fünf Jahren. Gegen den Willen vieler Menschen und fast heimlich übergab der damalige Bürgermeister die Wasserversorgung an ein privates Unternehmen: Multipropósito. Das Argument war, dass die Gemeinde die Wasserleitung und die Kanalisation, die schon sehr alt waren, austauschen müssten und sie dafür nicht genügend Geld hätte. Deshalb griff sie auf das Privatunternehmen zurück. In diesen fünf Jahren haben sich die Kosten für die Versorgung mit Wasser verdreifacht und die der Kanalisation verdoppelt. Heute haben wir mehr "Abgehängte" als je zuvor. "Abgehängte" sind Nutzer, die wegen Zahlungsunfähigkeit von der Versorgung abgehängt werden. Das sind die sichtbarsten Folgen gewesen. Der Vertrag ist beschämend, er versichert das Unternehmen gegen Verluste! Das Unternehmen geht also null Risiko ein in einem Geschäft, das Gewinn bringend ist!

Und das Letzte: Vergangenes Jahr kündigte der Präsident der Republik an, dass Calarcá die erste Gemeinde in Kolumbien sein wird, wo man die "Vorauszahlkarten" für den Bezug von Wasser einführen wird. Man schaue mal nach, was diesbezüglich in Südafrika passiert ist, wo man diese Art von "Wasserverkauf" eingeführt hat. Das ist ziemlich katastrophal gewesen, aber man will es bei uns unbedingt durchsetzen. Deswegen wird es hier zu einer Auseinandersetzung kommen, das garantiere ich!

Im Jahr 2003 wollte die nationale Regierung im Kongress das sogenannte "Wassergesetz" durchsetzen, hatte aber damit keinen Erfolg. Die Reaktionen aus verschiedenen sozialen und politischen Bereichen waren sehr heftig gewesen. Wir Umweltschützer waren übrigens auch mit dabei. Was sie damals vor hatten war, die rechtlichen Abläufe zur Privatisierung der Wasserversorgung zu vereinfachen, um damit schnell voranzukommen. Darüber hat man dann nichts mehr gehört. Trotzdem schreitet die Privatisierung voran, und ehe wir es uns versehen, werden sie dieses Gesetz durchsetzen.

Die Volksabstimmung

Wegen all dem Beschriebenen haben wir beschlossen, Folgendes ins Leben zu rufen: "Die Volksabstimmung zum Wasser, um die Verfassung zu ändern und in ihr den Zugang zu Trinkwasser als ein Grundrecht des Menschen sicher zu stellen". Am 24. Februar 2007 ging es los, als 60 Organisationen angesichts der beschriebenen Situation das Referendum beschlossen. Wir unterstützten diese Initiative in Calarcá und im Departamento Quindío.

Wie läuft nun diese Volksabstimmung ab?

Die Verfassung von Kolumbien kann durch den Kongress, eine verfassungsgebende Versammlung oder durch das Volk mittels einer Abstimmung geändert werden. Das Volk als erster Verfassungsgeber kann also direkt die Verfassung ändern. Aber das ist alles andere als leicht! Dafür bedarf es verschiedener Schritte.

Das erste, was wir tun mussten, war, eine Anzahl von Unterschriften zu sammeln, die fünf Promill der Wahlberechtigten entspricht, das heißt 137.000 Unterschriften. Mit diesem ersten Schritt kann man die Initiative eintragen lassen und ein Förderergremium bilden. Dies taten wir Ende letzten Jahres, nachdem wir landesweit 242.977 Unterschriften gesammelt hatten und sie am 11. Januar 2008 übergaben. Die Unterschriften wurden von der Nationalen Registratur des Zivilstaates auf ihre "Qualität" überprüft. Am 22. Februar verkündete dann die Registratur, dass 231.081 Unterschriften anerkannt wurden und man gab das Förderergremium zum Volksentscheid und der Verfassungsänderung bekannt.

Jetzt kommt der zweite Schritt: Mehr Unterschriften sammeln. Nun müssen es 5 % der Wahlberechtigten, also mindestens 1.137.000 gültige Unterschriften sein. Sicherheitshalber werden wir 1,5 Millionen sammeln. Damit kann der Kongress die Volksabstimmung ausrufen. Dieser Tage gibt uns die Registratur die Formulare für die weitere Unterschriftensammlung. Ab diesem Moment haben wir dann sechs Monate Zeit, um die 1,5 Millionen Unterschriften zu sammeln.

Wenn der Kongress die Ausrufung der Volksabstimmung verweigert (er kann das), müssen wir noch einmal innerhalb sechs Monate 1,5 Millionen Unterschriften sammeln, damit der National-Registrator aus eigener Initiative die Volksabstimmung ausruft. Sobald sie ausgerufen ist, müssen mindestens 25% der Wahlberechtigten (also etwa 7.500.000 Personen) abstimmen und falls die Hälfte und eine Stimme mehr für den Vorschlag stimmt, wird die Verfassung geändert. Wie man sehen kann – das ist nicht einfach!

In jedem Fall ein Gewinn

Falls es nicht gelingen sollte, die Verfassung zu ändern, so gewinnt man doch auf jeden Fall etwas. An erster Stelle durch die nationale Debatte über das Thema Wasser, die wir veranlassen. Das wird viele Leute informieren und sensibilisieren. An zweiter Stelle durch die Koordinationsarbeit zwischen vielen Organisationen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Das stärkt die soziale Bewegung und insbesondere den Einfluss des Umweltschutzgedankens in der Gesellschaft. Danach wird es für die Regierung viel schwieriger sein, die Privatisierungen voranzutreiben. Wir werden mehr Kapazitäten haben, uns ihrer Politik entgegenzustellen.

Was schlagen wir in der Volksabstimmung vor?

  1. dass der Zugang zu Trinkwasser als  Grundrecht in der Verfassung aufgenommen werden soll;
  2. dass ein lebensnotwendiges Minimum an Wasser für alle kostenfrei sein soll, vor allem für jene, die es nicht bezahlen können;
  3. dass die strategisch wichtigen Ökosysteme des Wasserkreislaufs wie Flüsse und Wälder besonderen Schutz erhalten und entsprechend behandelt werden;
  4. dass die Wasserversorgung durch öffentliche Einrichtungen gemanagt wird mit Bürgerbeteiligung, Transparenz und sozialer Kontrolle.

Calarcá, 2008

Was ist aus dem Referendum geworden?

Obwohl mit Hilfe der Bürger mehr als 2 Millionen Unterschriften zusammengekommen sind, lehnte das Repräsentantenhaus am 18. Mai 2010 den Originaltext der Initiatoren für das Referendum ab. Durch Textänderungen am Vorschlag wurde er zum Gegenteil dessen, was das Volk wollte. Das Argument war, dass ein kostenloses, lebensnotwendiges Minimum an Wasser die Staatskasse sprengen würde. Argumente, die das Gegenteil aufzeigten, ignorierte man. Gleichzeitig brachte die Regierung (Álvaro Uribe Vélez) gezwungenermaßen die “Planes Departamentales de Agua” (PDA) als Alternative zum Referendum auf den Weg.

Hinter diesen Plänen steckt zweifelsohne eine Politik, die die Kommerzialisierung und Privatisierung des Wasser bevorzugt und die das Grundrecht der Kolumbianer auf Wasser missachtet. Vor Kurzem informierte der Rechnungshof, dass diese Politik ein Reinfall gewesen sei, weil weniger als 20% von dem, was man erwartete herausgekommen sei und weil es große Probleme mit der Korruption in der Mehrzahl der Gemeinden gab. Die Gewinner sind letztendlich die Banken, die die Gelder vieler Gemeinden verwalteten und die Multis, die nur daran interessiert sind, mit dem Wasser ein Geschäft zu machen.

Die Wasserkampagne bewegte die ganze Nation und war eine der größten sozialen Bewegungen der Welt im Kampf für das Grundrecht auf Wasser. Die Organisationen, die sich für das Referendum eingesetzt hatten, kämpfen nun weiter für das Recht auf Wasser, indem sie der Gefräßigkeit der multinationalen Bergbaufirmen, die unser Land mit großen Tagebauprojekten überziehen, die Stirn bieten.

Calarcá, 2011